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Gibt´s was zu feiern?

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Nicht jedes Jubiläum muss begangen werden. Adolf Anderssens 200. Geburtstag wurde 2018 ignoriert, Emanuel Laskers 150. Geburtstag dafür umso häufiger zelebriert. Heuer ist es 150 Jahre her, seit im Kurhaus Baden-Baden das erste Weltklasseturnier der Schachgeschichte stattfand. Die Besten jener Zeit wirkten mit, Kolisch nicht als Spieler sondern Impressario. Anderssen siegte vor dem aufstrebenden Steinitz. Waren zuvor Zweikämpfe üblich, traf nun jeder zweimal auf jeden. Erstmals wurde die Bedenkzeit nicht mit Sand sondern Uhrwerken gemessen. Obwohl die Front des Deutsch-Französischen Kriegs ganz in der Nähe verlief, wurde das Turnier zu Ende gespielt. Ob und wie 1870 gedacht wird, wenn Carlsen, Caruana und Co über Ostern in Karlsruhe und Baden-Baden antreten, ist noch nicht bekannt. Derweil beginnen in Graz die Jubiläumsaktivitäten des Österreichischen Schachbunds. Der hat vor zehn Jahren einen Anlass verschlafen, der sich besser zum Feiern geeignet hätte.

1910 wurde das erste und einzige Mal in Österreich um die Weltmeisterschaft gespielt. Der Wiener Carl Schlechter war drauf und dran, dem favorisierten Lasker den Titel zu entreißen. Erst in der letzten Partie verspielte Schlechter seine Führung. Alle schönen Pläne, daran und an die goldenen Zeiten des Wiener Schachs bis zum Ersten Weltkrieg zu erinnern, sind 2010 verpufft.

Dieses Jahr aber sollte mit allem Pomp der Gründung des Österreichischen Schachbunds 1920 gedacht werden. Sogar ein WM-Kampf in Wien schwirrte monatelang durch die Medien (die FIDE entscheidet sich wohl für Dubai). Dann war die Rede davon, jeden Monat ein Turnier dem Jubiläum zu widmen, wobei alle neun Bundesländer drankommen sollten. Davon sichtbar übrig ist nur das Grazer Open, das an diesem Donnerstag mit einem Blitzschachabend beginnt, und in das die Staatsmeisterschaft, die sonst als eigener Wettbewerb im Sommer ausgerichtet wurde, integriert ist. 

Der Wiener Schachhistoriker und -händler Michael Ehn schlug dem ÖSB vor, eine Chronik zu verfassen (korrigiert, vorher war hier von Verhandlungen die Rede). Es wäre eine hervorragende Fortsetzung seines lesenswerten Buches über das Wiener Schach bis 1918. Ehns Vorschlag wurde aber schnell abgebügelt. Angeblich favorisieren die Funktionäre mittlerweile einen weniger wissenschaftlichen als der Selbstdarstellung dienenden Sammelband mit nicht durchgängig so kompetenten Autoren. Inzwischen kam heraus, dass darin Hans Christian Strache zu Wort kommen sollte. Schließlich hatte der nach den Ibiza-Videos zurückgetretene Vorsitzende der rechts-nationalen FPÖ als Bub ein paar Schachturniere mitgespielt (und sein Abschneiden wohl leicht übertrieben). Das schürt Hoffnung, dass man sich doch noch eines Besseren besinnt und zu einer historischen Aufarbeitung durchringt. Eine so brüchige Vergangenheit, wie sie das organisierte Schach in Österreich hat, kann nicht inhaltslos abgefeiert werden.

Los geht es schon mal damit, dass sich der 1890 gegründete Österreichisch-Ungarische Schachverband nach zwei Jahren wieder auflöste. Einige der ersten Schachvereine in Österreich und Böhmen schlossen sich dem 1877 gegründeten Deutschen Schachbund an. Dessen mit viel internationaler Beteiligung ausgetragene Kongresse waren das Zentrum das Schachlebens in Deutschland. In Österreich war es die seit 1857 bestehende Wiener Schachgesellschaft, aus der 1897 nach Fusion mit dem Neuen Wiener Schach-Club der Wiener Schachklub wurde. Es war der wohlhabendste Schachklub seiner Zeit. Mäzene wie Baron Albert von Rothschild, Ignaz Kolisch oder Leopold Trebitsch ermöglichten die Ausrichtung von Großmeisterturnieren. Die zeitweise mehr als 600 Mitglieder trafen sich auf zwei Etagen im mondänen Palais Herberstein.

Bei seiner Auflösung 1938 hatte der Wiener Schachklub großteils jüdische Mitglieder, die von anderen Vereinen längst nicht mehr aufgenommen wurden. Der Akademische Schachverein verlangte schon seit seiner Gründung 1902 ein Arierbekenntnis. Die nach dem Ersten Weltkrieg aufkommenden Deutschen Schachvereine schlossen Juden aus. Dafür eröffnete die Hakoah eine Schachsektion.

Neben bürgerlichen gab es zunehmend Arbeiterschachvereine. Aufgrund der Klassen- und weltanschaulichen Unterschiede wollten viele auch beim Schach unter sich bleiben oder spielten lieber in einem der zahllosen Kaffeehäuser als in einem Verein. Es gingen zähe Verhandlungen voraus, bevor sich knapp zwei Dutzend Vereine 1920 verständigten, den Österreichischen Schachverband (später umbenannt in Schachbund) zu gründen. Das Bündnis hielt nur gut vier Jahre, dann ging das Arbeiterschach eigene Wege, bis 1934 alle Arbeitervereine vom diktatorisch regierenden Kanzler Dollfuß verboten wurden.

Arbeiterolympiade 1931 in Wien

An den schachlichen Höhepunkten der Zwischenkriegszeit war der geschrumpfte Verband unbeteiligt. Das teilnehmerstärkste Turnier war wahrscheinlich das während der Arbeiterolympiade 1931 in Wien. Ein Weltklasseturnier 1926 in Semmering finanzierte und organisierte Ossip Bernstein, ein aus der Ukraine stammender Pariser Anwalt, der selbst auf höchstem Niveau spielte. Mit Rudolf Spielmann, Ernst Grünfeld und Erich Eliskases brachten es in jener Zeit Österreicher in die Weltklasse, was nach 1945 nie wieder gelang. Ende der Dreißigerjahre war sogar ein WM-Match zwischen Eliskases und Alexander Aljechin im Gespräch.

Wenige Tage nach Österreichs Annexion ins Deutsche Reich im März 1938 ging der Verband im Großdeutschen Schachbund auf. Albert Becker, ein fanatischer Nazi, der im Wiener Schach die Führung an sich riss, hatte kurz zuvor auf einer Reise nach Berlin wohl alles eingefädelt, vermutet Ehn in einem kürzlich in der Zeitschrift KARL erschienenen Artikel. Die entwöhnten Arbeiterspieler holte Becker mit Betriebsschach zurück. Bei Beginn des Zweiten Weltkriegs waren Becker und Eliskases als Mitglieder der großdeutschen Mannschaft bei der Schacholympiade in Buenos Aires und ließen sich in Südamerika nieder.

Sowjetische Offiziere vertreiben sich die Zeit vorm Eintreffen von Außenminister Molotow zur Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955 (Foto: Harry Weber/ÖNB)

Statt auf 1920 hätte sich der ÖSB mit wohl besserer Berechtigung auf seine Wiedergründung 1946 beziehen können. Nach Kriegsende besorgte sich aber zunächst einmal Josef Hanacik, der Anführer des Arbeiterschachs, von der sowjetischen Besatzungsmacht eine Vollmacht, um den 1938 aufgelösten Verband wieder zu beleben. In die zehnjährige Besatzungszeit durch die Alliierten fallen einige heute weitgehend vergessene Aktivitäten. Die Sowjetunion flog Meisterspieler zu Wettkämpfen und Simultanspielen nach Wien. Die Amerikaner engagierten sich in ähnlicher Weise.

International spielt das österreichische Schach nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch eine Nebenrolle. Zwei Funktionäre aus dem bürgerlichen Lager, Wilfried Dorazil und Kurt Jungwirth, bereiteten den Weg zur Gründung einer Europäischen Schachunion als Gegengewicht zur FIDE. Die alten Gegensätze zwischen bürgerlichem und Arbeiterschach leben noch an der Spitze des ÖSB weiter. 46 Jahre lang führte ihn der ÖVP-Kulturpolitiker Jungwirth. Vor drei Jahren hat Christian Hursky, Sicherheitssprecher der Wiener SPÖ, die Präsidentschaft übernommen und den Verband damit „umgefärbt“, wie man in Österreich sagt.

Seit das gut vernetzte Schach 2004 in die Bundessportorganisation aufgenommen wurde, fließen reichlich Subventionen. Zumindest am Geld darf eine historische Annäherung des ÖSB an seine zwiespältige Geschichte eigentlich nicht scheitern. 

von sloeffler erschienen in Berührt, geführt ein Blog von FAZ.NET.


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